Im letzten Artikel drehte sich alles um das Herz. Diesmal geht es um das „sich im Kopf befindende“ (altgriechisch ἐγκέφαλον) – kurz: das Hirn. Zum Aufwärmen gleich eine leichte, sommerliche Rechenaufgabe:
Ein Zeitungskiosk am Strand von Norderney verkauft ein hölzernes Strandtennis-Set bestehend aus zwei Schlägern und einem Ball für 11€. Man kann Ball und Schläger auch getrennt erwerben, ohne dass sich der Gesamtpreis ändert. Die Schläger kosten zusammen 10€ mehr als der Ball. Wie teuer ist der Ball?
Noch eine Aufwärmübung gefällig? Wir bleiben dem ländlichen Ostfriesland treu. Bitte laut vorlesen: „Knilch, Knilch, Knilch“ Was trinkt die Kuh?
Zur Erholung ein Ostfriesenwitz: Sie haben die Fragen mit „1€“ und „Milch“ beantwortet! Was daran lustig ist? Kühe bevorzugen Wasser und den Ball würden Sie schon für die Hälfte bekommen!
Die schlechte Nachricht ist, dass Ihr Gehirn faul ist. Die gute Nachricht ist, dass Sie damit in guter Gesellschaft sind – nicht nur in Ostfriesland. Vermutlich haben Sie nach dem Lesen der korrekten Antworten ein paar Sekunden nachgedacht und sind dann auch zum richtigen Ergebnis gekommen. Warum nicht gleich so?
Der rationellen Informationsverarbeitung des Gehirns (Ratio) ist ein Filter vorgeschaltet (Intuition).* Die Ratio zu benutzen ist anstrengend. Dies lässt sich bspw. anhand der Pupillenvergrößerung nachweisen. Also wird so viel wie möglich von der Intuition gefiltert. Und so müssen Kühe eben Milch trinken, damit die Ratio faulenzen kann.
Die Intuition lässt sich leider leicht beeinflussen. So würde natürlich jeder darauf kommen, dass Kühe Wasser trinken, wenn nicht vorher drei Knilche durch den Stall spaziert wären.**
Im Backgammon trampeln einem ständig Positionen auf den Synapsen herum. Es fällt schwer sich aus dem Fluss der Partie zu lösen und jede Stellung aufs Neue zu bewerten. Das Gehirn hat ein Faible für Geschichten. Es interpretiert den bisherigen Verlauf und folgert daraus, wie es weiter geht, anstatt nur die aktuelle Position zu evaluieren.
In der Chouette ist oft der beratende Kommentar eines Kibitzers, der gerade erst an den Tisch gekommen ist, wertvoller, als die Meinung des Kapitäns, der die ganze Geschichte der Partie durchlebt hat. Wenn Ihnen auf einem Turnier jemand mit ungläubigen Augen eine Position aus dem gerade beendeten Match zeigt, wird es Ihnen leichter fallen, den richtigen Zug zu finden, als der betroffenen Person.
Wenn Sie schon einmal mit Uhr gespielt haben, kennen Sie bestimmt folgende Situation: Sie stehen auf der Bar gegen ein geschlossenes Board. Der Gegner würfelt ein ums andere Mal, Sie drücken zwischendurch immer fleißig aufs Knöpfchen. Der Gegner räumt seinen 6-Punkt, Sie dürfen würfeln – aber bemerken es erst, nachdem Ihre Hand den Schalter schon wieder umgelegt hat …
Das Gehirn hat auf Automove umgestellt. Anfragen werden von der Intuition beantwortet. Auch wenn Sie nicht auf der Bar stehen, gehen Ihre grauen Zellen manchmal in diesen Modus. Dann nämlich, wenn Sie eine Reihe von trivialen Zügen ausführen müssen. Aber Vorsicht wenn plötzliche eine Änderung des Spielplans notwendig wird. Lässt der Filter das nicht durch, fährt die Intuition die Partie vor die Wand.
Zusammenfassend ergeben sich aus der Faulheit der Ratio im Backgammon also primär zwei Probleme. Nennen wir sie „Storymodus“ und „Automodus“. Meiner Meinung nach ist die Vermeidung dieser Modi das, was einen guten Amateur von einem Weltklassespieler unterscheidet. Ein talentierter Backgammonspieler ist nicht fleißiger oder intelligenter als die anderen. Seine Ratio döst bloß weniger Zeit in der Hängematte.
Machen Sie bei Ihrer nächsten Moneygame-Session mit Ihrem Gegner mal die „Knilch-Probe“. Wenn er „Wasser“ antwortet, sollten Sie Ihr Geld lieber anderweitig anlegen. Vielleicht kommen Sie günstig an eine Immobilie in Ostfriesland!?
Was also tun, um Story- und Automodus zu vermeiden? An dieser Stelle sammle ich gerne Vorschläge. Prinzipiell hilft gegen Faulheit Disziplin. Legen Sie sich Gewohnheiten zu, die den Spielfluss aufbrechen und die Position aus der Geschichte herauslösen. Mein Lieblingsbeispiel: Das Ziehen des zweitbesten Zuges.
Wenn Sie immer erst einen suboptimalen Zug ausführen, schalten sie damit einerseits den Autopilot ab (Sie werden sehen, dass es anfangs schwerer ist den zweitbesten Zug zu finden als den besten) und erschaffen gleichzeitig eine Parallelgeschichte, die vom zentralen Handlungsstrang ablenkt.
Einziges Manko dieser Methode: Sie treiben Ihre (ungeduldigen) Gegner damit auf die Palme, bzw. – um im Bild zu bleiben – auf den Leuchtturm. Ach, und weil’s so schön war doch noch einen echten Ostfriesenwitz zum Abschluss: Wie macht sich ein Ostfriese die Milch warm? – Er zündet die Kuh an!
* Die Begriffe „Intuition“ und „Ratio“ sind in diesem Zusammenhang aus wissenschaftlicher Perspektive unpräzise und letztlich falsch. Sie erleichtern m. E. jedoch das Verständnis. In der Psychologie sind die (selbsterklärenden??) Begriffe „System 1“ und „System 2“ gebräuchlich.
** Dazu wurde einiges schon hier gesagt.
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