Man möchte meinen es wäre an diesem Abend der Zigarettenqualm gewesen, der unsere Chouette dermaßen vernebelt hatte, dass sich drei Viertel der Anwesenden den gröbsten Blunder des Jahres leisteten. Dabei war die Position so einfach zu durchschauen:
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Pipcounts: Box 126, Team 64
Position ID: t7cDAAjRtg0DQA Match ID: MBkAAAAAAAAA
Ein Dreierpasch im falschen Augenblick hat dem Team (Schwarz) das Board zerstört. Der letzte Mann der schwarzen Armee ist hoffnungslos abgeschnitten und der Kapitän muss eine 1-6 würfeln, bevor die Box, die am Zug ist, mit einer einfachen 6 hereinkommt und das Zepter in die Hand nimmt. Weiß hält noch den Midpoint und hat somit die Außenfeldkontrolle. Sollte Schwarz nicht bald über die Prime hüpfen können, wird sein Board zu einem lächerlichen Türmchen zusammenschrumpfen. Weiß doppelt selbstverständlich und Schwarz passt!?
Da Mr. Racoon der Ansicht ist diesen Würfel müsse man nehmen, wird die Position notiert und anschließend als Proposition durchgespielt. Von den acht folgenden Spielen gewinnt Schwarz vier und alle vier doppelt. Uns bleibt die Spucke weg. Nein dies ist nicht die einebillionste „hard luck“ – Geschichte, sondern das Ergebnis einer gravierenden Fehlanalyse. Tatsächlich ist es für Weiß ein 0.486 Blunder den Würfel zu geben und Schwarz hat einen Monster-Beaver (der Pass ist ein 0.874 Blunder. Dass es soetwas überhaupt gibt…)!
Wie heißt es noch so schön: Man lernt aus seinen Fehlern! Das ist leichter gesagt als getan. Darum möchte ich hier eine Methode vorstellen in der Nacharbeit Fehlern systematisch auf den Pelz zu rücken um möglichst viel aus ihnen zu lernen (Das Lehrgeld hat man ja womöglich schon bezahlt 😉 ).
Dabei halte ich mich an einen von David J. Agans entwickelten Regelkatalog. Dieser wurde ursprünglich erstellt um fehlerhafte Hardware zu debuggen, läßt sich aber ganz hervorragend auf Backgammon Fehlanalysen anwenden. Die 9 Regeln lauten:
- Understand the system (Verstehe das System)
- Make it fail (Lasse es versagen)
- Quit thinking and look (Hör auf zu denken und beobachte)
- Divide and conquer (Teile und herrsche)
- Change one thing at a time (Ändere immer nur eine Sache)
- Keep an audit trail (Halte alles schriftlich fest)
- Check the plug (Kontrolliere den Stecker)
- Get a fresh view (Bemühe dich um einen anderen Blickwinkel)
- If you don’t fix it, it ain’t fixed (Wenn du es nicht repariert hast, ist es nicht repariert)
Wir gehen also davon aus, dass wir von der allabentlichen Chouette oder vom letzten Turnier eine Position nach Hause tragen, die uns Kopf und Kragen gekostet hat, oder in der wir zumindest das Gefühl hatten: „Hier kennst du dich nicht aus. Musst du raten…“ Oder GnuBG hat mal wieder den Rotstift gezückt und unsere letzte Online-Partie verrissen.
1. Understand the system
„Das Backgammon Brett setzt sich aus 24 Dreiecken zusammen -auch Zungen genannt. Gespielt wird mit 15 Spielsteinen pro Spieler…“
Wer einen Fehler finden möchte sollte sein Fach beherrschen. Dies bedeutet dass man als Fortgeschrittener mit Konzepten wie Duplication (Dopplung), Connectivity (Anschlussfähigkeit) oder Premature Burial (Verfrühtes Totstellen) -um nur einige zu nennen- vertraut sein sollte. Für den Anfänger reicht es vielleicht schon, dass er weiß, dass es wahrscheinlicher ist einen direkten Schuss zu treffen als einen indirekten.
2. Make it fail
Um dem Gehirn eine Chance zu geben zu begreifen, dass irgendwas an der gegebenen Position nicht so ist wie es scheint, ist es nützlich die Position mehrfach auszuspielen. Alle Superstars des Backgammon haben in den 70ger und 80ger Jahren zahllose Positionen per Hand ‚ausgerollt‘. Bei Dopplerentscheidungen bietet es sich an eine Proposition zu spielen. Oder aber man nimmt sich einen der digitalen Backgammon Knechte und spielt die Position immer und immer wieder (Jellyfish bietet meines Wissens eine Art Rollout mit einem manuellen Spieler an). Meist braucht man gar nicht bis zum Ende zu spielen, es geht mehr darum ein Gespür dafür zu bekommen, wie sich diese Position in den nächsten Zügen entwickeln kann.
Leider macht einem der Würfel bei kleineren Fehlern oft einen Strich durch die Rechnung, aber eine Position wie die obige wird großen Eindruck auf die kleinen grauen Zellen machen.
3. Quit thinking and look
Eine kleine Grammatikübung: Man sage nicht „Es ist ein Pass, weil blablabla “ sondern „blablabla und darum ist es ein Pass“
Meist ist es ein guter Plan erst einmal alle Informationen über eine Position zu sammeln, bevor man anfängt über den richtigen Zug nachzudenken. Die Wahrnehmung des Menschen ist selektiv und darum wird er z.B. wenn er Passen möchte schnell alle Faktoren so drehen, dass sie zur Theorie passen -wie in der obigen Position geschehen. Wer erst nur Informationen sammelt wird z.B. erkennen, dass er in obigen Position 62 Pips vorne ist! Ein riesen Vorteil! Außerdem habe ich als Schwarz die Chance mit einer 1 einen zweiten weißen Stein auf die Bar zu befördern. Nur 6-2 und 6-3 sichern für Weiß den Blot auf dem 4er-Punkt.
4. Divide and conquer
Eine Methode zum verstehen von bestimmten Stellungen, die oft empfohlen wird (z.B. hier) ist, der originalen Position durch kleine Änderungen auf die Schliche zu kommen. Nehmen wir z.B. den weißen Stein von der Bar und stellen ihn auf den schwarzen 6er-Punkt, ist es zwar immernoch kein Doppler, aber zumindest auch kein Beaver mehr. Gleiches gilt sogar noch, wenn wir den Stein von der Bar auf den weißen 6er-Punkt stellen! Der Stein auf der Bar scheint also eine gewisse Bedeutung zu haben, aber beim besten Willen nicht ausschlaggebend für die schlechte Equity von Weiß zu sein. Wie steht es mit dem Blot auf dem 4er-Punkt? Selbst wenn man ihn auf dem 1er-Punkt sichert bleibt die Position ein Beaver für Schwarz! Was passiert, wenn wir das Board von Schwarz schwächen!? Ich verschiebe die drei schwarzen Steine vom 5er- auf den 1er-Punkt. Ergebnis: Noch immer kein Doppel. Also auch die Steine vom 4er-Punkt auf den Turm: Jetzt ist es ein Doppler und Take. Das Board ist also wichtig für Schwarz.
Nun weiß ich hoffentlich genug über die Position um sie richtig interpretieren zu können: Weiß hat ‚bloß‘ eine 5er-Prime und ist nicht Favorit diese ausbauen zu können. Schwarz ist im Rennen weit vorn. Weiß muss also mit allen Mitteln verhindern, dass Weiß über die Prime hüpft. Dazu muss Weiß eventuell lose schlagen. Solange aber Schwarz sein Board hält ist jeder Rückschuss eine mittlere Katastrophe. Während dem ‚Make it fail‘ schien es, dass der weiße Blot auf dem 4er-Punkt das große Problem sei, da Weiß oft zwei Steine auf die Bar bekommt. Das hat das ‚Divide and conquer‘ nicht bestätigt. Was sich aber bestätigt hat ist, dass Weiß oft doppelt verliert, weil das Rennen so aussichtslos ist.
5. Change one thing at a time
Die fünfte Regel ist eigentlich nur ein kleines „Achtung“- Schild hinter der vierten. Wenn man in der ursprünglichen Position mehrere Dinge gleichzeitig ändert, oder überhaupt zu große Änderungen durchführt, können sich daraus falsche Schlüsse ergeben. Sollten wir z.B. versuchen unsere Stellung dahingehend zu verändern beiden Spieler den gleichen Pipcount zu geben, müssen wir dabei so gravierende Änderungen vornehmen, dass sich hinterher eine Position ergibt, die weder etwas mit der Ausgangsposition zu tun hat, noch uns irgendwelche Aufschlüsse geben kann.
6. Keep an audit trail
Als erstes sollte man natürlich die Position, die Schwierigkeiten verursacht hat, aufmalen, damit man hinterher überhaupt die Möglichkeit hat sie richtig zu analysieren. Meist erinnert man sich ja später doch nur wo 13 der 15 Steine gestanden haben.
Außerdem ist es aber hilfreich während der einzelnen Phasen der Fehlersuche Notizen zu machen. So vergisst man keinen Aspekt, es fallen einem schneller Unstimmigkeiten auf, man muss den Pipcount nicht zum 10ten mal machen 😉 und die Position prägt sich besser ein. Bei Bearoff Positionen z.B. ist sowieso Kopfrechnen und Handarbeit gefordert. Also Bleistift spitzen und Papier bereit halten…
7. Check the plug
Die Häufigsten Fehler im Backgammon sind nicht die, wo man sich zwischen den beiden besten Zügen entscheiden musste und den falschen gewählt hat, sondern die, wo man sich von zwei Zügen den besseren ausgesucht, dabei aber den dritten und besten Zug einfach übersehen hat (vgl. „Avoiding Burger King“ by Kit Woolsey). Sogar Computern unterläuft dieser Fehler von Zeit zu Zeit, wie die Tatsache zeigt, dass Jeremy Paul Bagai in der ersten Ausgabe von „Classic Backgammon Revisited“ in Position #80 den besten Zug nicht mit ‚ausrollte‘ da dieser laut 3-ply Analyse ein 0.134 Fehler ist. Erst ein Rollout, das diesen Zug einschloss, bewies das Gegenteil. Im Spiel bedeutet also „Check the plug“: Sieh zu, dass du nichts übersiehst!
In der nachträglichen Analyse bedeutet „Check the plug“ vor allem: Wenn du die Welt nicht mehr verstehst, kontrolliere mal deine Rollout-Einstellungen. Du willst wissen, ob Schwarz taken kann, aber das Rollout ergibt einen Beaver? Damit Schwarz taken kann, muss Weiß am Zug sein und nicht andersherum!?
8. Get a fresh view
Bei Positionen, die sich einem partout nicht erschließen, hilft es oft mal eine Nacht drüber zu schlafen. Oder man fragt mal einen Experten (z.B. auf rec.games.backgammon). Ich glaube, dass es auch beim Backgammon eine Art des aus dem Sport bekannten Übertrainings gibt: Irgendwann sieht man das Spiel vor lauter Steinen nicht mehr…
9. If you don’t fix it, it ain’t fixed
Der Lernprozess lässt sich beim Backgammon -simplifizierend- in drei Stufen teilen (vgl. „Three steps to better play“):
- Einen Fehler bemerken
- Den Fehler verstehen
- Aufhören diesen Fehler zu machen
Regel 9 bezieht sich auf die dritte Stuffe und besagt, dass wenn ich mir nicht sicher bin, dass ich meinen Fehler verstanden habe, ich ihn meistens nicht verstanden habe und dass es eben nicht beim bloßen Verständnis bleiben darf, sondern ich aus der Erkenntnis Konsequenzen ziehen muss. Das ist allerdings schon wieder ein neuer Artikel…
Im Übrigen würde ich zu den drei Stufen noch eine nullte hinzufügen wollen: Einen Fehler machen 😉
Hier das Ergebnis des Rollouts:
Doppler-Entscheidung | |||
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Rollout cubeless equity | -0.105 | ||
Gewinnerwartungen mit Doppler: | |||
1. | Kein Doppel | +0.126 | |
2. | Doppel, Aufgabe | +1.000 | +0.874 |
3. | Doppel, Annahme | -0.360 | -0.486 |
Richtige Doppler-Aktion: | Kein Doppel, Beaver (35.8%) |
Klasse mal wieder…insbesondere hier die Verbindung mit allgemeiner Analyse-/Problemlösungsmethodik!
Nach PRaT von Lamford wäre man geneigt, die Position für ND/T zu halten, da die gute schwarze – noch nicht vollständig eingeprimte – Rennposition ein Take nahelegt und somit dann vermutlich zu wenig Marketlosing Sequenzen für Weiss vorliegen (ev. W: 66, 65, 64 & S schlecht).
Völlig verblüffend ist der Beaver für S !
Ich werde über diese Position noch weiter nachzudenken haben: sie kommt in mein persönliches „AGB III“ 🙂
Gruß
Andreas
In letzter Zeit bemerke ich, dass einige Spieler Schwierigkeiten haben Fehler zu akzeptieren, selbst wenn die Software es ihnen Schwarz (bzw. Rot) auf Weiß vor die Nase hält.
Kürzlich durfte ich beobachten, wie ein Spieler nachdem ein Rollout ergeben hatte, dass sein Zug ein Blunder war, sich bereit erklärte, die Position als Proposition auszuspielen. Bei 5€ pro Punkt eine teure Angelegenheit! Lernresistent!
Es nützt auch nichts die Einstellungen von Rollout und Analyse so lange zu verdrehen, bis der eigene plötzlich auch der richtige Zug ist. Möglicherweise hat die Software nicht immer Recht, aber grundsätzlich gilt: Fehler sollte man als CHANCE zur Verbesserung des eigenen Spiels begreifen.